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Schadenersatz und Schmerzensgeld wegen Untätigkeit bei einem Unfall

Als eine 13-jährige Schülerin auf einer Mauer an einer Bushaltestelle saß, die 1,30 m hoch ist, wurde sie von einem Mitschüler herunter gestoßen und erlitt schwerste innere Verletzungen, die äußerlich jedoch nicht sichtbar waren.

Die Lehrerin, welche die Aufsicht führte, war in ein Gespräch mit anderen Schülern vertieft und bemerkte den Unfall nicht. Als sie auf den Unfall aufmerksam gemacht wurde, sah sie lediglich , dass die Schülerin blass im Gesicht war, kümmerte sich aber nicht weiter um sie, da es keine Anzeichen weiterer Verletzungen gab.

Der stellvertretende Schulleiter kam hinzu, brachte das Mädchen in den Aufenthaltsraum und informierte die Mutter. Diese fuhr mit ihrer Tochter ins Krankenhaus, wo man zunächst nur eine Rippenprellung diagnostizierte. Erst im nahe gelegenen Klinikum wurden die schweren inneren Verletzungen erkannt.

Die Eltern der Schülerin reichten eine Klage beim Landgericht Erfurt ein. Die Lehrerin habe ihre Aufsichtspflicht verletzt und sich zu wenig um die Schülerin gekümmert. Deshalb seien Schadenersatz und Schmerzensgeld zu zahlen.

Das Gericht hatte zunächst zu klären, ob die Lehrerin dadurch ihre Aufsichtspflicht verletzt hat, dass sie sich mit anderen Schülern unterhalten hat und somit den Unfall nicht sofort bemerkt hat. Hier ist von dem Grundsatz auszugehen, dass der Umfang der Aufsichtspflicht sich danach richtet, in welchem Umfang die zu Beaufsichtigten deshalb von Gefahren bewahrt werden müssen, weil sie diese selbst nicht erkennen und ihnen daher selbst nicht ausweichen können. Eine 13-jährige Schülerin hat normalerweise ein solches Maß an Eigenverantwortlichkeit entwickelt, dass eine permanente Beaufsichtigung nur dann erforderlich gewesen wäre, wenn man auf Grund besonderer Umstände vermuten müsste, dass sie sich nicht selbst vor Gefahren schützen könne. Da diese Umstände hier nicht vorlagen, war der Lehrerin wegen der Unterhaltung mit den Schülern keine Verletzung der Aufsichtspflicht vorzuwerfen.

Der zweite Vorwurf, der zu klären war, ist der Vorwurf der Untätigkeit. Hier war zu klären, ob die Lehrerin die Erforderlichkeit ärztlicher Hilfe hätte erkennen können. Bei der Schülerin waren unmittelbar nach dem Unfall äußerlich keine Verletzungen erkennbar. Sie war lediglich blass. Zudem liegt bei einem Sturz aus nur 1,30 m Höhe der Gedanke an innere Verletzungen nicht nahe. In diesem Fall hat sogar der erste behandelnde Arzt den Umfang der eingetretenen Verletzungen nicht erkannt. "Wenn aber bereits ein Arzt die Schwere der Verletzungen nicht erkennen kann, " so das Gericht, " kann entsprechendes von einem medizinischen Laien nicht verlangt werden." Damit war der Lehrerin auch aus ihrer Untätigkeit kein Vorwurf zu machen.

Deshalb wurde die Klage auf Schadenersatz und Schmerzensgeld abgewiesen.

Nebenbei enthält die Urteilsbegründung einen weiteren interessanten Aspekt. Selbst wenn der Lehrerin ein Vorwurf zu machen gewesen wäre, hätte die Klage auf Schadenersatz und Schmerzensgeld nur dann Erfolg gehabt, wenn "der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz erlangen kann". Im Klartext: Zuerst hätte der "Primärverursacher" - also der Schüler, der die Verletzte von der Mauer gestoßen hat - in Anspruch genommen werden müssen. Erst dann kommt eine Klage gegen den Schulträger in Betracht.

(Landgericht Erfurt Aktenzeichen 6 O 4150/97)