Mehr Gemeinsamkeit, Motivation und Verstehen im Mathematikunterricht der Primarstufe
Einstiege, Rituale, Übungen und Spiele der Mathekartei
Wie lässt sich der Mathematikunterricht in der Primarstufe individuell und ansprechende für eine heterogene Lerngruppe gestalten? Die Mathekartei liefert Anregungen.
Gastbeitrag aus der Wissenschaft
[Schule NRW 03-23]
Die Vorkenntnisse, Lernmöglichkeiten, Interessen oder die Einstellungen von Schülerinnen und Schülern weisen bekanntlich eine große Heterogenität auf. Vor diesem Hintergrund hat in den letzten Jahrzehnten das Leitprinzip der individuellen Förderung in den bildungspolitischen, didaktischen und professionstheoretischen Diskussionen sowie in Entwicklung und Forschung zunehmend und zurecht an Bedeutung gewonnen (Hußmann & Selter, 2013).
Wie mit dieser Heterogenität im Unterricht umgegangen wird, kann sich stark unterscheiden. Immer wieder lässt sich insbesondere in der Grundschule beobachten, dass die Lernenden im Mathematikunterricht nahezu ausschließlich Selbstlernhefte, unzusammenhängende Arbeitsblätter oder Lernstationen individuell bearbeiten sollen. Damit die Einbettung dieser Selbstlernmedien in den Unterricht funktioniert, erfolgt die Aufgabendarbietung im Regelfall kleinschrittig. Verstehen bleibt oft zweitrangig und ein Austausch mit anderen oder mit der Lehrkraft befasst sich nicht selten mit Organisatorischem statt mit Inhaltlichem. So geht das zentrale Lernen von- und miteinander weitgehend verloren.
Im Zuge einer stärkeren Individualisierung des Unterrichts kann es aus fachlicher Sicht allerdings nicht primär darum gehen, Kinder lediglich zu beschäftigen und in der Folge zu vereinzeln. Die zentrale Aufgabe einer Lehrkraft besteht vielmehr darin, sie zu aktivem Lernen sowie Denken, zu produktivem Austausch und zu lernförderlicher Reflexion herauszufordern – dieses alles freilich unter Berücksichtigung individuell unterschiedlicher Lernpotenziale und sprachlicher Heterogenität. Somit ist es auch kein Zufall, dass im Lehrplan Mathematik Grundschule das Kommunizieren als prozessbezogener Kompetenzbereich klar gestärkt worden ist. Damit kann auch im Mathematikunterricht hinreichend viel Gemeinsamkeit hergestellt werden. Dies kann beispielsweise durch ritualisierte Unterrichtstätigkeiten geschehen, die motivierend, aber auch kognitiv aktivierend für die Kinder sind.
Die im Rahmen der Fachoffensive Mathematik Grundschule entstandene und weiterentwickelte „PIKAS-Mathekartei“ setzt genau hier an. Sie beinhaltet 55 schnell umsetzbare Unterrichtsideen für Rituale, Übungen und Spiele zur Förderung mathematischer Basiskompetenzen der Jahrgangsstufen 1 bis 4. Der zeitliche Umfang der Aktivitäten beträgt in der Regel 5 bis 10 Minuten. Die Inhalte der einzelnen Aktivitäten orientieren sich einerseits an zentralen Themen des Mathematikunterrichts und regen durch ihren oftmals spielerischen Charakter die Kinder zum aktiven Mitdenken an. Die Aktivitäten sind so konzipiert, dass sie sich an die aktuellen Unterrichtsinhalte anpassen lassen. So können viele der Unterrichtsideen für eine Vielzahl von mathematischen Inhaltsbereichen genutzt, auf Inhalte des eigenen Schulbuches bezogen sowie als regelmäßiges Ritual eingebunden werden.
Denn ritualisierte Abläufe und Aktivitäten bieten mehrere Vorteile. Auf organisatorischer Ebene sind ritualisierte Abläufe zeitlich effizient, weil alle Beteiligten wissen, was zu tun ist. Darüber hinaus ermöglichen es Rituale insbesondere Kindern, die Schwierigkeiten haben, die Grundidee des Spiels sukzessive zu verstehen und sich anschließend zunehmend mehr auf die mathematischen Lerninhalte zu fokussieren. Ritualisierte Aktivitäten schaffen für Lehrkräfte zudem Freiräume für gezielte Beobachtungen.
Im Folgenden wird dies an der exemplarischen Mathekarteikarte Nummer 25 „Zahl unter dem Tuch“ illustriert.
Auf der Vorderseite wird die Grundidee der Aktivität illustriert. Zudem werden oben rechts Kurzhinweise zur Klassenstufe, zum mathematischen Inhalt sowie zum zeitlichen Umfang gegeben. Ist ergänzendes Material notwendig, ist auf der Vorderseite der Karteikarte ein QR-Code abgebildet, der zur Materialübersicht (für alle Karteikarten) auf der PIKAS-Webseite führt. Auf der Rückseite der Karteikarte werden die Ziele der Aktivität erläutert, Durchführungs- und Variationsvorschläge unterbreitet sowie Beobachtungshinweise gegeben.
Bei der Aktivität „Zahlen unter dem Tuch“ werden die Kinder angeregt, Veränderungen von Zahlen mental vorzustellen. Dabei ist der Zahlenraum an die Klassenstufe individuell anpassbar. Bei Schwierigkeiten können die Kinder das Material zunächst sehen (oder direkt nachlegen oder aufzeichnen), während andere Kinder (freiwillig) wegsehen und nur den mündlichen Beschreibungen der Lehrkraft zuhören. Ergänzend können die Kinder mit einem Partnerkind überlegen und das Gelegte handlungsbegleitend aufzeichnen. Somit bietet diese Aktivität eine Vielzahl an individuellen sinnvollen Variationen.
Das Sammeln der Ergebnisse kann ebenfalls unterschiedlich organisiert werden. Bestmöglich sollte es eine kurze Bedenkzeit geben, bevor sich die Kinder melden dürfen. Alternativ oder auch ergänzend können die Kinder die Ergebnisse oder auch die Aufgabenterme notieren (z.B. auf einem Mini-Whiteboard) und auf Zuruf hochhalten. Von Vorteil ist, dass durch einen solchen „Mathestarter“ die Kinder schnell auf das mathematische Thema fokussiert werden können und dass sie aus der Aktivität heraus motiviert werden, Vorstellungsbilder zu entwickeln.
Die Kartei nebst benötigten Materialien für die Lernenden (Punktefelder, Arbeitsblätter, Zahlenkarten usw.) steht zum freien Download zur Verfügung unter: https://pikas.dzlm.de/node/1632. Jede Grundschule bekommt zudem je zwei Exemplare der Kartei kostenfrei durch die Fachoffensive Mathematik zur Verfügung gestellt.
Literatur
Hußmann, S. & Selter, Ch. (2013). Diagnose und individuelle Förderung in der Lehrerbildung. Das Projekt dortMINT. Müster: Waxmann.
Autoren: Prof. Dr. Daniela Götze & Prof. Dr. Christoph Selter, TU Dortmund
Zu den Autoren
Daniela Götze ist Hochschullehrerin für Didaktik der Mathematik mit dem Schwerpunkt Primarstufe an der Technischen Universität Dortmund. Ihr zentrales praxisnahes Forschungsinteresse liegt im Bereich des sprachbewussten Mathematikunterrichts. Sie hat darüber hinaus viele Jahre in den Projekten PIKAS oder Kira mitgearbeitet. Gemeinsam mit Christoph Selter ist sie für die wissenschaftliche Begleitung der Fachoffensive Grundschule Mathematik NRW verantwortlich.
Christoph Selter ist Hochschullehrer für Didaktik der Mathematik an der Technischen Universität Dortmund. Er hatte die wiss. Begleitung der Entwicklung der Grundschullehrpläne Mathematik 2008 und 2021 inne, leitet Projekte zur Weiterentwicklung des Mathematikunterrichts wie PIKAS oder Kira und ist zusammen mit Daniela Götze für die wissenschaftliche Begleitung der Fachoffensive Grundschule Mathematik NRW verantwortlich.
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